Nachhaltigkeit: ein lahmes Dreibein. MEINUNG 08/10/2025
- Ana Cunha-Busch
- 7. Okt.
- 3 Min. Lesezeit

Nachhaltigkeit: ein lahmes Dreibein.
Der Nachhaltigkeitsdiskurs basiert gemäß der Triple Bottom Line (TBL)-Theorie typischerweise auf drei Säulen: Wirtschaft, Soziales und Umwelt. Dieses Modell hat in den letzten Jahrzehnten die öffentliche Politik, Unternehmensberichte und globale Debatten geprägt.
Die TBL hat uns gelehrt, dass es ohne ein Gleichgewicht zwischen Mensch, Planet und Profit keine Entwicklung und Nachhaltigkeit gibt. Doch wenn die psychische Gesundheit der Hälfte der Bevölkerung durch Ungleichheitsstrukturen beeinträchtigt wird, bröckelt die soziale Säule. Und mit ihr das gesamte Versprechen eines nachhaltigen Gleichgewichts.
Im September organisiert das Nativas Network – Women in Ecological Restoration, ein gemeinnütziger Verein mit Fokus auf Geschlechtergleichstellung, eine Veranstaltung zum Thema Überlastung, Erschöpfung und Burnout bei Frauen. Ein Vortrag wird von einer Psychologin mit Spezialisierung auf Arbeitsmedizin gehalten und von einer Organisationspsychologin moderiert – beide mit klinischer Erfahrung.
Neugierig wie ich bin, habe ich die Veranstaltung als Organisatorin genossen und hinter den Kulissen mitgewirkt. Dabei stieß ich auf alarmierende Daten:
1) Vor der Pandemie lebten in Brasilien 49 Millionen Menschen mit einer psychischen Störung, und mehr als die Hälfte (53 %) waren Frauen. Das heißt, von 100 brasilianischen Frauen litten 19 an einer psychischen Störung, was über dem weltweiten Anteil von 13,3 pro 100 Frauen liegt.¹
2) Fast zwei Drittel (67 %) der Menschen mit Angststörungen und Depressionen waren Frauen, während Männer überwiegend von Substanzmissbrauch (Drogen und anderen) betroffen waren.¹
3) Frauen sind in Brasilien für die meisten Fehlzeiten aufgrund psychischer Störungen und Burnout-Fälle verantwortlich.²
4) Unter den Krankheitsursachen sticht die finanzielle Situation hervor, die von Ernährungsunsicherheit über finanzielle Abhängigkeit bis hin zu finanziellen Engpässen reicht. Am häufigsten sind schwarze Frauen mit ihrer finanziellen Situation unzufrieden. ¹
5) Überlastung und Erschöpfung spielen ebenfalls eine Rolle, da Frauen durchschnittlich zehn Stunden mehr pro Woche als Männer für die Hausarbeit aufwenden und so Doppel- oder Dreifachschichten anhäufen.¹-³
Die Konfrontation mit diesen Daten löste bei mir ein Unbehagen aus: Ist es möglich, in einem Zeitalter der Nachhaltigkeit zu leben, während die Gesellschaft so strukturiert ist, dass sie Frauen einbezieht? Sollten wir, Cis- und Transfrauen, nicht in das „S“ der dreifachen Nachhaltigkeitsziele einbezogen werden?
Die UN-Agenda 2030 hat in SDG 3 die psychologische Dimension als zentralen Bestandteil nachhaltiger Entwicklung verankert. Brasilien hat nach der Verinnerlichung der Ziele die Gesundheit der Arbeitnehmer als Priorität gestärkt, indem Burnout als Berufskrankheit und Suizidprävention betrachtet wurden. Im September fanden Präventionskampagnen statt. Betrachtet man jedoch die Nachhaltigkeitspolitik und -praxis, zeigt sich, dass die Debatte über psychische Gesundheit hinter dem zurückbleibt, was sie sein sollte, und dass die psychische Gesundheit von Frauen unsichtbar bleibt, obwohl sie für die Zukunft der Arbeit und soziale Gerechtigkeit von entscheidender Bedeutung ist.
In Unternehmensdebatten werden Genderperspektiven selten berücksichtigt, obwohl Daten zeigen, dass Frauen am stärksten betroffen sind. Dies offenbart ein Paradox: Unternehmen sprechen von Diversität und Inklusion, gewährleisten aber nicht die psychologischen Mindestvoraussetzungen für eine gleichberechtigte Teilhabe von Frauen – und dazu gehört auch Infrastruktur wie Stillräume und Kindertagesstätten.
Eine Nachhaltigkeit, die den Dialog über psychische Gesundheit nicht berücksichtigt und die Geschlechterkluft nicht adressiert, ist reine Rhetorik. Die Nachhaltigkeit, die wir brauchen, hinterfragt und verändert die Strukturen, die Frauen krank machen – sei es in der öffentlichen Politik, im Unternehmensumfeld oder in ihren eigenen vier Wänden. Ohne diese bleiben die drei Säulen der Nachhaltigkeit schwächelnd. Die Frage bleibt: Wie lange werden wir es noch hinnehmen, die Zukunft auf einer Krücke zu balancieren, die einen großen Teil der Bevölkerung krank macht?
¹ – Think Olga. (2023). Erschöpft: Verarmung, Überlastung bei der Pflege und psychisches Leiden von Frauen. Think Olga Laboratory – Übungen für die Zukunft.
² – TRAVIS, Michelle. Warum sind Frauen häufiger von Burnout betroffen? Forbes Brasilien, 2. April 2025. Verfügbar unter: https://forbes.com.br/carreira/2025/04/por-que-o-burnout-afeta-mais-as-mulheres/. Zugriffe: 30 Sätze. 2025.
³ – BRASILIEN. Brasilianisches Institut für Geographie und Statistik (IBGE). Im Jahr 2022 widmeten Frauen 9,6 Stunden pro Woche mehr der Hausarbeit oder Pflege als Männer. IBGE Nachrichtenagentur, vor 11 Tagen. 2023. Verfügbar unter: https://agenciadenoticias.ibge.gov.br/agencia-noticias/2012-agencia-de-noticias/noticias/37621-em-2022-mulheres-dedicaram-96-horas-por-semana-a-mais-do-que-os-homens-aos-afazeres-domesticos-ou-ao-cuidado-de-pessoas. Zugriff am 30. Sept. 2025.
SDG3 SDG8
Ana Letícia de Rodrigues Ferro
Forstingenieurin (FCA/UNESP Botucatu)
Ökologiespezialistin (FAMEESP)
Umweltanalytikerin (Irrigart Engineering and Water Resources Consulting)
Korporative E-Mail: leticia@irrigart.com.br





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